Überparteiliche Initiative „Gemeinsame Bildung 2.0“ begrüßt breite öffentliche Gesamtschuldiskussion
ÖVP- und FPÖ reagieren mit parteipolitischer Empörung auf Wiener SPÖ-Konferenz. Gesamtschuldiskussion
findet Medien-Echo, und das ist gut so.
Eine Wiener SPÖ-Bildungskonferenz hat sich für eine Gesamtschule ohne Schulnoten ausgesprochen und für
die Abschaffung der Matura in ihrer derzeitigen Form 1 . Die Matura soll durch eine praxisorientierte
Projektarbeit und das positive Jahreszeugnis der Abschlussklasse ersetzt werden. „Unser Bildungssystem muss
endlich im 21. Jahrhundert ankommen“, damit begründet SJ-Vorsitzender Paul Stich die Anträge.
Bürgermeister Ludwig betont, dass punktuelles Wissensabfragen überholt und durch komplexere
Abfragungsmethoden zu ersetzen ist und dass zum einen die Wirtschaft das fordert, zum anderen auch die
Universitäten und Hochschulen. Der Wiener Bildungsdirektor Heinrich Himmer verweist darauf, dass
Universitäten ohnehin eigene Einstiegsprüfungen verlangen. Abschließend zitiert orf.at die Wiener
Bildungssprecherin Nicole Berger-Krotsch: „Wir wollen eine angstfreie Schule, wir wollen den Leistungsdruck
von den Kindern weghaben“. Konkrete erste Schritte zur Umsetzung der Forderungen wurden keine bekannt.
ÖVP- und FPÖ-Gesprächsverweigerung.
Noch am Tag der Konferenz reagierte die ÖVP mit pauschaler Ablehnung der SPÖ-Vorschläge: Für
Bildungsminister Polaschek kommt eine Abschaffung der Matura nicht in Frage und Schulnoten sind fürs
Schulsystem unverzichtbar und die SPÖ-Anliegen nichts weiter als „Hirngespinste linker SPÖ-Träumer“. ÖVP-
Generalsekretär Christian Stocker beschränkte sich auf parteipolitische Polemik und verwahrt sich gegen jeden
Angriff auf unser Bildungssystem. FPÖ-Bildungssprecher Hermann Brückl schimpft auf den „Unfug aus dem
linken Antileistungsfundus der SPÖ“ und verzichtet ebenfalls auf Sachargumente.
Eine sachbezogene, am Kindeswohl und an zukunftsoffenen Problemlösungen orientierte Bildungsdebatte
haben ÖVP- und FPÖ-Parteipolitiker reflexartig verworfen, die von der SPÖ-Parteikonferenz aufgeworfenen
Fragen betreffen die Zukunft des Bildungssystems und lassen sich nicht wegpolemisieren, auch nicht innerhalb
der ÖVP.
Für breite Diskussion über Inklusion, Elementarbildung und gemeinsame Pflichtschule
Die Bildungsinitiative „Gemeinsame Bildung 2.0“ , in der Bildungsaktivist:innen und Organisationen für
Inklusion und die ganztägige gemeinsame Pflichtschule aller Kinder und Jugendlichen zusammenarbeiten,
begrüßt die von der Wiener SPÖ-Konferenz ausgelöste öffentliche Diskussion über die bildungs- und kultur-
und demokratiepolitische Notwendigkeit eines Neubeginns im Bildungssystem, vom Kindergarten bis zur
Erwachsenenbildung. Österreich braucht eine gemeinsame Schule für alle, die der Vielfalt der Bevölkerung und
der Verschiedenheit der Kinder und Jugendlichen gerecht wird. Österreich braucht Inklusive und kostenfreie
Kindergärten und eine gemeinsame Pflichtschule für alle, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern und
die soziale Auslese und Aufspaltung der 9-/10-jährigen nach Zeugnisnoten beenden. Es geht um die Zukunft der
Kinder Kinder und Jugendlichen, die keine Aufstiegsklauseln und Frühgefährdungen brauchen und keine Noten,
die über Aufsteigen oder Sitzenbleiben entscheiden. Sie brauchen auf Förderung bedachte Rückmeldungen
über ihre Stärken und Schwächen, sie haben ein Recht auf von Pädagog:innen mit ihnen und für die nächsten
Schritte auf ihrem Bildungsweg entwickelte Lernpläne. Schulangst, Durchfallen, ständiger Notendruck belasten
Kinder, Eltern und ihren Lehrer:innen. Wir wollen zu diesem Neubeginn beitragen.
Glück auf!
Initiative gemeinsame Bildung 2.0
Markus Astner, Sonja Tollinger; Reinhart Sellner
p.A. bildung@unabhaengige.at
1 https://wien.orf.at/stories/3232557/
Pressemitteilung zum
Nationaler Aktionstag Bildung am 15. Juni – Gemeinsam gelingt Gutes – auch in Tirol!
Einladung zum nationalen Aktionstag Bildung am 15. Juni – Gemeinsam gelingt Gutes – auch in Tirol!
Worum es geht? Am 15. Juni wird der nationale Aktionstag Bildung abgehalten, um auf die Herausforderungen im Bildungsbereich aufmerksam zu machen. In Tirol findet eine Kundgebung statt, organisiert von den Initiativen "Gemeinsame Bildung 2.0" und „Bildung brennt“, die eine inklusive Bildung und bessere Arbeitsbedingungen fordern. Namhafte Persönlichkeiten aus dem Bildungsbereich werden bei der Veranstaltung sprechen, begleitet von musikalischen Darbietungen und verschiedenen Aktionen. Die Initiatoren setzen sich für eine gemeinsame Schule, inklusive Bildung und verbesserte Rahmenbedingungen ein.
[Innsbruck, 21.05.2023] - Am 15. Juni findet der nationale Aktionstag Bildung statt, bei dem Initiativen, Organisationen und Einzelpersonen aus ganz Österreich für eine inklusive Bildung und bessere Arbeits- und Rahmenbedingungen im Bildungsbereich auf die Straße gehen. Auch in Tirol wird eine Kundgebung stattfinden, zu der die Initiativen "Gemeinsame Bildung 2.0" und „Bildung brennt“ alle Interessierten herzlich einlädt. Die Veranstaltung beginnt um 16.00 Uhr am Landhausplatz.
Die Kundgebung wird durch Reden namhafter Persönlichkeiten im Bildungsbereich wie Michael Schratz (Bildungsexperte), Markus Astner (Gründer der Tiroler Initiative „zukunft_schule_jetzt“), Ivana Vlahusic (Bildungsaktivistin), Sonja Tollinger (Integration Tirol) sowie engagierter Bildungsbewegter bereichert. Darüber hinaus wird es musikalische Darbietungen und verschiedene Aktionen geben, um ein zukunftstaugliches Bildungssystem zu fordern.
"Mit dem nationalen Aktionstag Bildung möchten wir gemeinsam ein starkes Zeichen setzen. Wir können nicht länger schweigen angesichts zahlreicher Versäumnisse, Fehlentwicklungen, Missstände und Baustellen“, so Markus Astner.
Welche Missstände sind damit angesprochen?
Beispielsweise die katastrophale Situation der Chancenungleichheit: Der Zugang zu Bildung für marginalisierte Kinder und Jugendliche bleibt weiterhin erschwert, Chancenungleichheit ein Faktum. So erreichen 81% der Kinder aus Akademikerhaushalten die Matura, gegenüber nur 37% der Kinder aus Arbeiter:innenhaushalten. Nur 7% der Kinder von Eltern ohne akademischen Hintergrund schaffen einen Uni-Abschluss auf Masterebene (https://www.momentum-institut.at/grafik/bildungschancen-oesterreich). Noch eklatanter zeigt sich die Chancenungleichheit mit Blick auf Migrationshintergrund: Die Wahrscheinlichkeit ohne Pflichtschulabschluss nach 9 Schuljahren dazustehen ist für Burschen mit nichtdeutscher Muttersprache mit 13,6 % Prozent doppelt so hoch, wie für Burschen ohne Migrationshintergrund (Nationaler Bildungsbericht 2022). Ganz aktuell zeigt die PIRLS-Studie wieder, dass bereits im Volkschulalter die Unterstützung durch das Elternhaus zentral für den Bildungserfolg ist. Kinder mit Behinderungen finden häufig keinen Kindergartenplatz und ihr Recht auf Bildung endet mit 14 Jahren. Die Überlastung von Kindern und Jugendlichen, Pädagoginnen und Bildungsarbeiter:innen ist im gegenwärtigen System eher die Regel als die Ausnahme. Laut einer von SOS-Kinderdorf in Auftrag gegebenen Umfrage gehen vier von zehn Kindern nicht gerne zur Schule. Die SVA hält in ihrer Handreichung zur Burnout-Prävention fest, dass schon 2020 24,6% der Lehrer:innen als Burnout-gefährdet galten. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Leistungsdruck, zu wenig Zeit, um auf individuelle Bedürfnisse einzugehen, überfrachtete Lehrpläne, die Hetzerei von Test zu Test und wenig Gestaltungsfreiraum sind immer wieder genannte Punkte.
Gleichzeitig stehen wir vor neuen Herausforderungen. Kindergarten, Schule und Universität sind nicht nur Orte des Lernens, sondern auch Motor und Spiegel unserer Gesellschaft. In einer digitalisierten Welt kommt es auf Vorstellungsvermögen, Sensibilität und Verantwortungsbewusstsein an. Unsere Schulen müssen den Schülerinnen und Schülern helfen, selbstständig zu denken und anderen mit Empathie zu begegnen - sowohl im Arbeitsleben als auch als mündige Bürger. Diese Schlüsselkompetenzen werden derzeit kaum gefördert. Stattdessen spaltet das gegenwärtige Bildungssystem. Daraus ergibt sich für viele ein klares Bild: Bildung muss neu gedacht werden.
Wie soll eine Schule der Zukunft aussehen?
Die Schule der Zukunft ist eine gemeinsame Schule. Eine Schule, die Bildung entlang der Lebenszeit denkt: von der Elementarpädagogik über eine gemeinsame Schule bis hin zum lebenslangen Lernen. Dazu Michael Schratz: „Wissenschaftliche Erkenntnisse belegen eindeutig, dass von einer gemeinsamen, inklusiven Bildung alle profitieren: Lernende lernen besser, Lehrende und Lernende sind erfolgreicher und glücklicher.“ Daraus ergeben sich für die Initiatoren der Initiative folgende zentralen Forderungen:
Wir wollen eine gut organisierte gemeinsame Bildung. Das heißt eine Bildung, die im Kindergarten für alle beginnt, sich über die ortseigene, sozial durchmischte Volkschule über eine gemeinsame Schule bis 15 erstreckt. Warum? Um den Druck von Kindern, Eltern und Volksschullehrerinnen zu nehmen, um Zeit zu gewinnen für das Entwickeln individueller Stärken und um eine solidarische Gesellschaft zu fördern, die Platz für alle hat. Jugendliche mit fünfzehn können ihrer eigenen Pläne für die Zukunft besser einschätzen und selbst entscheiden, wohin ihr weiterer Weg führt. Es muss gewährleistet sein, dass jede:r seine Talente voll entfalten kann und der Zugang zu Lehre, weiterführenden Schule, Universität unabhängig vom familiären und finanziellen Background gewährleistet ist.
Wir wollen inklusive Bildung. Inklusive Bildung heißt, dass alle Lernenden Willkommen geheißen werden: im Kindergarten, in der Schule, beim Berufseinstieg, auf der Hochschule…dass Kindern und Jugendliche deren bestmögliche Entwicklung und Leistungsfähigkeit ermöglicht wird. Inklusive Bildung blickt dabei nicht "nur" auf Kinder mit Behinderungen, sondern auf Kinder und Jugendliche als Individuen in ihrer Verschiedenheit und Vielfalt. Dies umfasst auch Mehrsprachigkeit als Ressource zu verstehen, oder jedem Menschen, unabhängig von seiner (familiären, finanziellen) Hintergrund zuzugestehen, dass es lernen kann. Diskriminierungen im Bildungssystem werden aktiv bekämpft. Mitsprache und Mitgestaltung der Lernenden unterstützt.
Dafür braucht es optimale Entwicklungs- und Lernbedingungen für alle, wie zum Beispiel bedarfsgerechte Ressourcen für Förderung. Kleinere Gruppen im Kindergarten, besserer Pädagog:innenschlüssel in der Schule, auf der Universität. Supportpersonal wie mehrsprachige Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen, Sexualtherapeut:innen, Asisstent:innen, Schoolnurses in Bildungseinrichtungen. Mehr Zeit fürs Wesentliche: Zeit für Achtsamkeitstrainig, soziales Lernen, Zeit um individuelle Begabungen im Schulalltag auszuleben. Unterricht muss hierfür neu gedacht werden: Weg vom Lernstoffbüffeln für Noten hin zum sinnstiftenden, individuellen Lernen.
Wir fordern bessere Arbeits- und Rahmenbedingungen für alle im Bildungsbereich tätigen. Attraktivierung der Berufsgruppe durch Entlastung von und Unterstützung bei bürokratischen Arbeiten, Supervision, bessere Unterstützung beim Berufseinstieg für Assistent:innen, (Elemtar-)Pädagog:innen und Schulleiter:innen. Zeit für systematische, berufsbegleitende Weiterbildung. Arbeitsplätze und technische Ausstattung, die zeitgemäßen Unterricht ermöglicht. Wertschätzung des Berufs.
Eine breite Debatte über Bildung ist dringend notwendig. Bildungspolitische Agenden verdienen einen zentralen Platz im (politischen) Diskurs. Dabei ist klar: Entgegen der Aussage des Bildungsministers ist es höchste Zeit für „Grundsatzdebatten.“ Mehr noch: Wir benötigen schleunigst grundsätzliche Reformen und eine ausreichende Finanzierung dafür. Weg von der Mangelverwaltung hin zur gemeinsamen Zukunftsgestaltung. Denn: Gemeinsam gelingt gutes.
Interview mit Markus Astner im Standard 13.04.23
AHS-Lehrer und Bildungsaktivist: "Es braucht kein Gymnasium in der Unterstufe"
Presseaussendung 17.01.2023
Schluss mit dem Auseinanderdividieren unserer Kinder im Volksschulalter!
„Gemeinsame Bildung 2.0“ für ungebrochene Lernfreude und gegen Schulangst, Konkurrenzdenken und Selektionsdruck auf 9-Jährige
Alle Jahre wieder verursacht das österreichische Schulsystem Notenstress für Kinder der 4. Volksschulklassen, für ihre Familien und die Volksschullehrer:innen. Denn im Februar müssen Mütter und Väter entscheiden, ob sie ihr Kind an einer Mittelschule oder einem Gymnasium anmelden. Eine folgenreiche Entscheidung, mit der in der Regel die Chancen für den weiteren Bildungs- und Lebensweg verteilt werden. Ausschlaggebend für die Aufnahme an eine AHS sind sehr gute Noten[1], denn die AHS ist keine Pflichtschule[2] (Landes- und Gemeindekompetenz), die allen Kindern offensteht, sondern eine „höhere“ Schule (Bundeskompetenz).
Die Aussagekraft, Vergleichbarkeit und der prognostische Wert von Zeugnisnoten für die Entwicklung von Interessen und Leistungen ist wissenschaftlich mehr als fragwürdig, nicht nur, aber besonders bei 9-Jährigen. Die negativen Folgen des Notenlernens für neugieriges Fragen, Freude am Lernen und das eigenständige Entwickeln von Interessen und Neigungen sind bekannt. Dass in Österreich Bildung vererbt wird und Kinder von Arbeiter:innen, unter ihnen viele Migrant:innen benachteiligt, belegen sozialwissenschaftliche Studien. Beim Auseinanderdividieren der sozial durchmischten Volksschulkinder in Mittelschüler:innen und „höhere“ AHS-Schüler:innen wird nach Bildungserfahrungen und Bildungsabschluss der Eltern selektiert.
Kein Kind ist wie das andere, jede Klasse oder Lerngruppe ist heterogen zusammengesetzt. Soziale Durchmischung und Inklusion der Kinder mit besonderen Bedürfnissen fördern das miteinander und voneinander Lernen und ermöglichen jedem Kind soziale Erfahrungen, die wir alle für das gemeinsame Lösen von akuten krisenhaften Problemen brauchen werden. Zusammenarbeit zur Auseinandersetzung mit Klimawandel, Umweltkrise, Energiekosten, Armut, Hunger und Krieg ist mehr denn je notwendig. Gute Bildung aller fördert Solidarität, Nächstenliebe, Respekt und Weltoffenheit, national und international – Werte, die wir mehr denn je benötigen.
Gemeinsame Pflichtschule als kinderfreundliche Alternative
In vielen Ländern ist das vom Schulsystem vorgeschriebenes Auseinanderdividieren von Kindern Vergangenheit. Allgemeinbildung wird als Bildung von allen in allem verstanden – von der individuellen Förderung über die soziale Integration zur Inklusion. Welche weiterführende Schule Jugendliche nach dem Pflichtschulabschluss besuchen, entscheiden nicht die Eltern von 9-Jährigen, sondern die 15/16-jährigen Jugendlichen selbst, Eltern und Lehrer:innen beraten sie dabei.
„Gemeinsame Schule 2.0“ vertritt die Meinung vieler, dass auch in Österreich eine gemeinsame Pflichtschule notwendig und möglich ist. Unsere Initiative überwindet partei- und standespolitische Widerstände. Wir wollen eine neue Gesamtschuldiskussion von Betroffenen, Medien und Politiker:innen. Wir wollen Erfahrungen, Argumente und Ideen austauschen, Vorbehalte und Befürchtungen von Eltern, Lehrer:innen und Voilksvertreter:innen ansprechen und möglichst viele Menschen für eine kinderfreundlichere Schule für alle gewinnen. Wir haben einen langen Atem.
Für die Initiative Gemeinsame Bildung 2.0
Reinhart Sellner
[1] https://www.oesterreich.gv.at/themen/bildung_und_neue_medien/schule/2/Seite.1760160.html Voraussetzungen für den Eintritt in die 1. Klasse: Erfolgreicher Abschluss der 4. Klasse Volksschule (in Deutsch, Lesen und Mathematik "Sehr gut" od. "Gut")
[2] https://www.oesterreich.gv.at/themen/bildung_und_neue_medien/schule/4/Seite.1760170.html
Die Mittelschule (MS) ist die Pflichtschule für die 10- bis 14-Jährigen in Österreich. Alle Schülerinnen und Schüler können nach positivem Abschluss der Volksschule eine Mittelschule besuchen.